Vier Sonette an U.G.
[1978]

1.

Der Gottesacker ist ein stiller Ort.
Sein Name sagt: mit edler Saat bestellt.
Was Wunder, dass es Wanderern gefällt,
hier auszuruh'n! Sie geh'n getröstet fort.

Der Friedhof meiner Seele ist: im Wort.
Und ist gar einsam - mitten in der Welt.
Ein stiller Winkel, der sich vorbehält,
nur zu versöhnen. Kein Besitz ist dort!

Komm, sei mein Gast und bringe deine Sorgen
in jenen Hain, der Schmerzen lindern kann:
komm ins Gespräch! und fühle dich geborgen.

Vergiss die Wut! Lass dir die Seele rühren.
Vergiss das Leid! Das Leben führt voran.
Vergiss den Stolz! Lass dich vom Schicksal führen.

---

2.

Die Sehnsucht ist ein sonderbares Ding:
als würden wir von irgendwo gerufen.
Wir stolpern über irgendwelche Stufen
und finden nicht, was lockend uns umfing.

Dann hadern wir - und achten zu gering,
was uns die Götter mit der Sehnsucht schufen;
verschließen unser Herz den Klagerufen
des Ideals, das uns in Brüche ging.

Die Sehnsucht ist das Ziel! Versteh den Schmerz:
das Ziel ist gleich der Weg, es zu erreichen.
So führt uns erst die Sehnsucht lebenwärts!

Denn streben wir, so ist das Ziel uns nah.
Doch greifen wir 's, so seh'n wir es entweichen.
Gottlob ist dann die Sehnsucht wieder da!

---

3.

Der Sinn des Werdens ist uns oft nicht klar.
Man wird von selbst - und weiß kaum, dass man ist
(aus lauter Furcht, dass man vielleicht vergisst,
was nicht an Schönem alles jemals war)!

Vergiss das Jetzt nicht! Auch auf die Gefahr,
dass das Vergangene zum Teil zerfließt
und damit (scheinbar) seinen Platz einbüßt
an jenes Dasein, das stets fließend war.

Begeistern musst du dich! Stets neu berauschen!
Unselig ist ein Werden ohne Ziel.
Des Glücks ist nie genug, sei 's noch so viel!

Doch zögere, ein Glück dir einzutauschen.
Glück ist kein Gut, das man sich heimlich stehle!
Denn seine Heimat ist die Menschenseele.

---

4.

Die Freude ist das endliche Begreifen
unendlichen, oft schmerzlichen Verlangens.
Das macht sie auch so weh, so voll des Bangens,
so voll der Schauder, die die Seele streifen...

Wo Lust und Wehmut ineinandergreifen,
tief im Gemüt (im Vorfeld des Gedankens),
fühlt eine Menschenseele, voll des Dankens,
den großen Fluss, in dem die Dinge reifen!

Doch dazu braucht es Demut, nicht nur Kraft.
Mit Kraft allein verkrampft sich das Gewissen
zu blinder Wut und starrer Leidenschaft;

und es vergisst, dass es vertrauen kann,
sich in ein Ganzes eingefügt zu wissen,
bewusst und gern dem Leben untertan.


~ ~ ~ * ~ ~ ~