Sonette über Liebe, Sehnsucht und menschliche Nähe - aus verschiedenen Jahren
Deine Augen - an G.H.
[1971]
Wenn ich ein Talent zum Malen hätte,
hätt' ich dich gewiss mit sich'rer Hand
hundertfältig auf Papier gebannt,
reich schattiert, aus jeglicher Palette.
Oft skizziert, träf' ich dich schon, ich wette,
mit ein paar Kohlestrichen: Du - prägnant
und unverwechselbar, mir wohlbekannt
in jeder Biegung deiner Silhouette!
So kommt es, wenn ich nachts die Augen schließe
und nicht mehr denken will, dann bist du da,
dass ich dich seh' und spür', als wärst du echt!
Da sind 's dann nicht die sonst ersehnten Küsse,
dein Blick ist 's, deine Augen sind mir nah,
dass ich hineinzuseh'n nicht aufhör'n möcht.
~ ~ ~ * ~ ~ ~
Vier Sonette an G.H.
[1972]
1.
Wie unsagbar hab' ich dich je geliebt!
Mit wie viel' Blicken - die du missverstandest -
wollt' ich dich fragen, was denn du empfandest!
Dein Schweigen machte mich zutiefst betrübt.
Doch war ich stets aufs neu in dich verliebt,
wenn du dich unerwartet zu mir wandtest!
Ich fühlte wohl, wie sehr du mir entschwandest,
je näher du mir kamst. (Wie es das gibt?)
Oft hätt' ich rufen mögen: „Lass mich, bleib!
Bleib weg von mir! Wir wollen doch nicht lügen!“
Doch schwieg ich. Wie von selbst begann der Leib,
sein Ziel zu suchen: Nähe... Lust... Vergnügen...
Wir lagen beieinander, Mann und Weib.
Wir liebten uns. Und wussten, dass wir lügen.
---
2.
Warum nur kamst du mir in solche Nähe?
Ganz tief im Innern fühle ich die Schuld:
Es drängt mich hin zu dir, zum Liebeskult,
wann immer ich dich denke, fühle, sehe...
und will doch gar nicht, dass es neu geschehe!
Dann wieder wird die Lüge abgespult.
Wir sind uns nahe. (Nicht?) So hab Geduld!
Wenn ich nur wüsst', wie ich dir widerstehe.
Spürst du es denn? Ich fühle mich so klein.
Ich sehne mich danach, dir mehr zu sein
als nur ein Körper, der dir fügsam war!
Und immer wieder träum' ich: Hat bis jetzt,
was wir einander sind, auch oft verletzt,
vielleicht wird unsre Liebe einmal wahr.
---
3.
Wohl weiß ich auch, dass da schon Stunden waren
voll unbeschreiblich reinem Glücksgefühl.
Und nicht das Glück aus dem Geschlechtsgewühl.
(Das könnte solche Träume nicht bewahren!)
Ich täume doch: Wir haben ja erfahren,
was tiefe Lieb' in Menschenherzen will!
Wir lächeln... Doch wir schweigen viel zu viel
in jener schrillen Schwüle, uns zu paaren.
Doch nur der wahren Liebe, nicht der Lust,
ist je solch eine Sehnsucht angehangen!
Ich fühl' es (hoffend, dass auch du es tust):
wir können jenes tiefe Glück erlangen,
in der auch uns're Seelen unbewusst
nach untrennbarer Einigkeit verlangen.
---
4.
Ein Abend geht mir nicht mehr aus dem Sinn.
Wir lagen, in Gefühle eingehüllt,
als würde tröstend, unbeschwert und mild
ein Morgenrot die Dämmerung durchglüh'n.
Besänftigt, friedvoll, fern von Lustgewinn
war alles Fragen stumm, das Leid gestillt.
Noch ließest du, von Zärtlichkeit erfüllt,
die Hand sanft über meinen Körper zieh'n.
Da war die Stille greifbar, voller Frieden.
Fast körperlos - doch spürbar Haut an Haut -
empfanden wir uns eins. Und fragten nicht:
„Ist uns denn endlich unser Glück beschieden?“
Denn es war da. Und ist uns so vertraut!
Wenn es dann auch das Schicksal uns zerbricht.
~ ~ ~ * ~ ~ ~
Vier Sonette an U.G.
[1978]
1.
Der Gottesacker ist ein stiller Ort.
Sein Name sagt: mit edler Saat bestellt.
Was Wunder, dass es Wanderern gefällt,
hier auszuruh'n! Sie geh'n getröstet fort.
Der Friedhof meiner Seele ist: im Wort.
Und ist gar einsam - mitten in der Welt.
Ein stiller Winkel, der sich vorbehält,
nur zu versöhnen. Kein Besitz ist dort!
Komm, sei mein Gast und bringe deine Sorgen
in jenen Hain, der Schmerzen lindern kann:
komm ins Gespräch! und fühle dich geborgen.
Vergiss die Wut! Lass dir die Seele rühren.
Vergiss das Leid! Das Leben führt voran.
Vergiss den Stolz! Lass dich vom Schicksal führen.
---
2.
Die Sehnsucht ist ein sonderbares Ding:
als würden wir von irgendwo gerufen.
Wir stolpern über irgendwelche Stufen
und finden nicht, was lockend uns umfing.
Dann hadern wir - und achten zu gering,
was uns die Götter mit der Sehnsucht schufen;
verschließen unser Herz den Klagerufen
des Ideals, das uns in Brüche ging.
Die Sehnsucht ist das Ziel! Versteh den Schmerz:
das Ziel ist gleich der Weg, es zu erreichen.
So führt uns erst die Sehnsucht lebenwärts!
Denn streben wir, so ist das Ziel uns nah.
Doch greifen wir 's, so seh'n wir es entweichen.
Gottlob ist dann die Sehnsucht wieder da!
---
3.
Der Sinn des Werdens ist uns oft nicht klar.
Man wird von selbst - und weiß kaum, dass man ist
(aus lauter Furcht, dass man vielleicht vergisst,
was nicht an Schönem alles jemals war)!
Vergiss das Jetzt nicht! Auch auf die Gefahr,
dass das Vergangene zum Teil zerfließt
und damit (scheinbar) seinen Platz einbüßt
an jenes Dasein, das stets fließend war.
Begeistern musst du dich! Stets neu berauschen!
Unselig ist ein Werden ohne Ziel.
Des Glücks ist nie genug, sei 's noch so viel!
Doch zögere, ein Glück dir einzutauschen.
Glück ist kein Gut, das man sich heimlich stehle!
Denn seine Heimat ist die Menschenseele.
---
4.
Die Freude ist das endliche Begreifen
unendlichen, oft schmerzlichen Verlangens.
Das macht sie auch so weh, so voll des Bangens,
so voll der Schauder, die die Seele streifen...
Wo Lust und Wehmut ineinandergreifen,
tief im Gemüt (im Vorfeld des Gedankens),
fühlt eine Menschenseele, voll des Dankens,
den großen Fluss, in dem die Dinge reifen!
Doch dazu braucht es Demut, nicht nur Kraft.
Mit Kraft allein verkrampft sich das Gewissen
zu blinder Wut und starrer Leidenschaft;
und es vergisst, dass es vertrauen kann,
sich in ein Ganzes eingefügt zu wissen,
bewusst und gern dem Leben untertan.
~ ~ ~ * ~ ~ ~
Starke Mutterbindung
[1996]
Du lebst doch nicht für andere! (So wie
die andern das ja auch für dich nicht können.)
Lass uns doch bloß ein wenig Abstand nehmen
und du wirst sehn: wir sind in Harmonie!
Dem obsessiven Wunsch gelingt es nie,
als sanfter Gleichklang mit dem Du zu tönen,
in dessen Haut zu schlüpfen, die sich sehnen,
die Liebe fordern! - Lieb' braucht Empathie!
Liebst du dein Leben nicht? Ich lieb' das meine!
Ich dank' dir auch, dass du es mir einst schenktest,
denn es ist schön - und ich bin gerne hier!
Doch halte ich die Zügel nun alleine.
Und so wie du unser Geschick einst lenktest,
erwarten das die Nächsten nun von mir.
~ ~ ~ * ~ ~ ~
Des Lebens Konsequenz
[1996]
Ob das nun Ehe heißt, ob Partnerschaft,
ob Mutter-, Vater-, Eltern- oder Kindsein,
in allen Bindungen wird, taub und blind sein
dem Partner gegenüber, schwerst bestraft.
Und zwar von selbst, vom Strom der Lebenskraft.
Denn der hat - anders als der Wille! - kein
bestimmtes Ziel. Er wirkt als bloßes Sein.
Und er bewährt sich, wenn er Frieden schafft!
Im jedem Heute schwingt eine Sequenz
Vergangenheit. Das lässt die Zukunft ahnen.
So will uns jeder Augenblick ermahnen:
Des Lebens unbeugsame Konsequenz,
(die wir dann Schicksal nennen mögen) wird
allmählich von uns selbst herbeigeführt.
~ ~ ~ * ~ ~ ~
Elfter Hochzeitstag
[1996]
So viele Fragen möchte ich dir stellen!
Doch schweige ich und warte lieber zu.
Ich denke mir, es fehlt nicht viel dazu,
dass meine Fragen dich nur unnütz quälen.
Ich fühle wohl, dass dir die Worte fehlen,
mein Sehnen auch nur zu berühren! Du
bist stoisch. (Glaubst wohl, das ist Seelenruh.)
Doch lass ich dich. Ich mag kein Urteil fällen.
Ich schweige also auch. - Da spür' ich leise,
dass du gelöster wirst. Du brichst dein Schweigen!
Im Scherzen (als ob das die Kluft verhehle)
kommt Nähe auf... Und ja, die lenkt uns weise!
Doch lenkt sie nur die Körper. Stumm verneigen
sich die Gefühle vor der dunklen Seele.
~ ~ ~ * ~ ~ ~
An einen Freund
[1997]
Vergiss dich nicht! Ich bin dir trotzdem nah.
Wenn ich - zum Gruße bloß - mich an dich lehne,
weil ich mich gern mit dir in Einklang wähne,
dann spür' ich einfach: du bist für mich da.
Soll niemand meinen, dass da was geschah!
Ich sag' auch nicht, dass ich mich nach dir sehne
(damit ich das hier öffentlich bekenne),
doch ein Gefühl der Nähe hab' ich, ja.
Ist Freundschaft zwischen Mann und Frau nicht selten?
Hier mischt sich etwas herrlich Unnennbares:
ein Flair Erotik zwischen Schalk und Scherzen...
Genießt du es? Doch lass die Regeln gelten!
Die N ä h e ist so etwas Wunderbares,
weil sie uns menschlich macht. Trotz stolzer Herzen.
~ ~ ~ * ~ ~ ~
Und wieder ein Hochzeitstag
[1998]
Du gabst dich wohl nie wirklich mir zu eigen.
Der liebestolle Wunsch, uns zu vereinen,
war fragmentiert. „Vereint“ heißt doch: auch weinen
zu können - und sich tröstend hinzuneigen.
Was sperrst du dich denn, mir Gefühl zu zeigen,
und lügst mir vor (ich muss das strikt verneinen):
„Wir hätten nie so stark gefühlt“!? Hier scheinen
uralte Ängste in dir aufzusteigen!
Mit solcher Abwehr wird aus Liebe: Leerlauf.
Als ob die Sehnsüchte verloren wären,
um anzukoppeln zwischen fremden Sphären...
Und nie mehr sind wir eins! Das stößt mir schwer auf.
Ich dachte immer: Partnerschaft erlangt,
wer Liebe l e b t . Ist das zu viel verlangt?
~ ~ ~ * ~ ~ ~
Abschied
[2001]
Bring deinen Winter nicht in meinen Sommer ein!
Zwar sind auch mir die Frühlingslüfte längst verweht,
die Felder hoch, die Wiesen blumenübersät,
doch ist das Korn noch lang nicht reif. Nein Liebster, nein!
Befiehl der Eiseskälte nicht, mich einzuschnei'n!
Mal' ich doch erst allmählich Farbe an die Frucht.
Ich bin gewiss bereit, dass mich der Herbst besucht,
doch will ich seine Fülle, Wärme, Sonnenschein!
Noch fließt mir Kraft im Innern für die volle Reife.
Zwar kann auch ich bereits erahnen und erfassen,
was unbeeinflussbar den Gang des Lebens normt,
doch hab' ich erst die Hälfte abgedient. Begreife:
Verschenken kann ich nichts und nichts verderben lassen!
Du aber hast schon Eiskristalle ausgeformt.
~ ~ ~ * ~ ~ ~