Vom Geist einer alternden Welt  -  zwölf gesellschaftskritische Sonette, 1998


Alterungsprozess

So wie uns Einzelnen die Jugend schwindet
(weil Wachstum stets Veränderung enthält),
ist auch das Flair der „unberührten Welt“
schon lang verflogen. Deutlich sichtbar findet

ein Alterungsprozess statt, der uns kündet,
dass all das, was den Globus plagt und quält,
ihn ruiniert... Doch es regiert das Geld
jenen Koloss, der sich verzweifelt windet.

Und da die Geldmacht alles ignoriert,
was an Strukturerneuerungen denkt,
wird sich an dem Prozess wohl nichts mehr ändern.

Fatal, wie sehr die Wirtschaft dominiert!
Aus „Werten“ wurden Waren (Geld gelenkt).
Und so mutierten „Menschen“ zu Verschwendern.


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Globalisierte Welt

Vernetztes Handeln wäre ja nicht schlecht.
Doch sind die Einzelnen nun untertan
dem weltweit uniformen Wirtschafts-Clan,
der sie durch ein „Zuviel des Guten“schwächt!

Derart verelendet der Menschen Recht
auf selbstbestimmtes Handeln. Welch ein Bann
liegt auf dem freien Denken. Lügen-Wahn!
Konsum ist eine „Freiheit“, die sich rächt!

Er sättigt Satte - und erfüllt sie gar nicht!
Denn wo die Gier herrscht, muss die Seele schweigen.
(Ach wär' sie doch vom Kaufzwang autonom!)

Doch Konsumenten sehen die Gefahr nicht.
Des Wohlstands Sättigung macht träg! So beugen
sie sich der Macht - und schwimmen mit dem Strom.


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Brauchtum

Was früher „Gott“ war, sind uns heute: „Güter“.
Und wo wir Bräuche hatten, uns zu schützen
(weil sie uns halfen, Ängste auszuschwitzen),
war die Gemeinschaft da. Wir waren Brüder.

Doch unanzweifelbar nimmt heute wieder
die Urangst überhand. Und mit „Besitzen“
will man das schwache Ego unterstützen.
Das schlägt sich dann im Anonymen nieder.

Wenn „jeder gegen jeden“ Kämpfe schürt,
- im Trockendock der Liebesfähigkeit
Genuss sucht, statt Erfüllung - zeigt sich auch:

Die unheilvolle Gier nach Wohlstand führt
bloß in die Sucht, nicht zur Zufriedenheit.
Und sie ersetzt die „Bräuche“ durch „Verbrauch“.


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Weltgericht

Gott Vater, stell doch uns nicht vor Gericht!
An den globalen Welt-Zerstörungs-Plänen
sind Industriemagnaten schuld! Die nehmen
die Weltherrschaft in Anspruch, wir doch nicht!

Wir sind zu klein. Es hätte kein Gewicht,
wenn wir uns zur Verantwortung bekennen.
Die Wirtschaftslobbys sind 's, die wie Hyänen
nach allem schnappen, was nach Leben riecht!

Gott aber spricht: ICH hab sie nicht gemacht.
Ihr habt sie selbst erzeugt - und wachsen lassen.
Ihr habt sie institutionalisiert!

ICH  w a r  das Recht. Doch ihr habt es verlacht.
Dann habt Ihr selbst, in anonymen Massen,
ein gnadenloseres Euch installiert.


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Rechtfertigung

Wir haben - bloß von Wissensdurst erfüllt -
nicht absichtlich die Umwelt so verschmutzt!,
nicht freiwillig das Nutzvieh ausgenutzt!,
nicht gern mit Mitmenschen nicht mitgefühlt!

Der Fortschritt - initial gezündet - zielt
auf völlig anderes als wir! Verdutzt
und flügellahm (von ihm zurechtgestutzt),
weiß unsre Seele kaum noch, was sie fühlt.

Wir sind nicht schuld daran, dass wir so wurden.
Im Gegenteil! Wir planen Umweltgipfel...
wir schaffen Märkte... regeln die Geburten...

Wir wollen doch das Leid auf dieser Welt nicht!
Und jeder hascht noch rasch nach einem Zipfel
Besitzbarem... Für alle reicht das Geld nicht.


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Wohlstand

Sind Medien des kruden Wohlstands Schergen?
Berichte aus der großen weiten Welt
sind schrecklich blutrünstig... Was uns missfällt!
Doch können wir die Schaulust nicht verbergen.

So hören wir von Riesen und von Zwergen...
von Terror, Kriegen, Waffen, Macht und Geld...
und nie wird klar, wie das zusammenhält.
Doch ließe sich der Grund nicht schwer entbergen:

Die „erste Welt“ - als Inhaber der Macht -
wird niemals zulassen, dass alle gleich sind!
(Wenn Ethikkommissionen das auch fordern.)

Das ginge nur, wenn alle auch „gleich reich sind“!
...Oder alle arm. - Das wär gelacht!
Wer würde so etwas denn jemals ordern?!


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Ordnungspläne

Wir mühen uns, das viele Leid zu dämmen,
das sich da weltweit in die Leiber frisst
an Hunger, Seuchen, Elend... All das ist
so schrecklich anzusehn! Es ist zum Schämen.

Ja, wenn wir bloß in schwarze Zahlen kämen!
Dann wär' das Helfen leichter. Darum hisst
die Fahnen für den Fortschritt! Seht, er kiest
sich Machbarkeiten, all das Leid zu hemmen!

Und dass die Gentechnik den Mais verhunzt,
hybriden Sorten ihren Keim entfernt,
ist (weil das Schwein ja doch wie immer grunzt)

des Markts Diktat. Und schlecht? Lasst ihn regieren!
Hat er nicht von der Wissenschaft gelernt,
des Lebens Ordnungsplan zu isolieren?


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Fortschrittsglaube

Wir können uns dem Fortschritt nicht verschließen.
Wir wollen es auch nicht. Wir sind modern!
Er lenkt die Wirtschaft. Und wir sehn es gern,
wenn wir den Weltmarkt noch vergrößern müssen!

Wer sagt: „Die Welt wird bald zu klein?“ Dann schießen
wir eben unsern Müll ins All, erdfern.
Gleichzeitig träumen wir vom Zweitwohnstern...
(Terrestrische Gemütlichkeit lässt grüßen.)

Auf Erden - wo wir Gas von Giftmüllhalden
zumindest fernheiztechnisch nutzen wollen,
damit der Müll sich rechnet, der da gärt -

zählt als „human“ (im Sinn korrekter Salden),
dass weltweit Umschuldungsprogramme rollen...
Von Schulden freilich! Schuld ist, scheint 's, verjährt.


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Verantwortung?

Der Fortschritt schreitet fort... Doch führt er weiter?
Wenn ja, dann was? Sich selbst? Wo führt das hin?
Der Menschheit Höhenflug an Geist - nach Sinn
einst suchend - gleicht dem Kamikaze-Fighter!

Was forscht die Forschung? Wessen Wegbegleiter
sind denn die Wissenschaften? Läg' darin
denn nicht ein Auftrag nach Vernunft-Gewinn?!
Das Anonyme macht uns nicht gescheiter.

Verantwortbares muss persönlich sein!
Nur ein gewachsenes, gefühltes Wissen
schwingt in den Seelen und im Geiste mit.

Ein „Wissen pur“ - steht es für sich allein -
lässt den Konsens zur Sinnsuche vermissen.
Der Fortschritt ist ein antwortloser Schritt.


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Abstraktes Denken

Die Sprache unsrer Wissenschaften stelzt,
weil sie nur sich erklären, nicht das Leben.
Wir haben ihnen zu viel Macht gegeben
und die Verantwortung auf sie gewälzt.

Nun ist die Wissenschaftlichkeit gepölzt
mit stählern harten, starren Einzelstreben,
die ihrem Wissen zwar die Statik geben,
doch unser Haus, wie du 's im Sinn behältst

und ich es in Erinnerung bewahre,
war gänzlich anders! Es war klein und heimlich.
Und jeder Winkel war uns so vertraut!

Denn die Begrifflichkeit war eine klare.
Die Vorstellung war körpernah und räumlich.
Heut' ist Abstraktes meta-überbaut!


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Aussichtslos?

Abstraktes Denken wird sich noch vermehren.
Die Denkprozesse arbeiten subtil!
Doch leider folgen sie nur einem Ziel:
ein „grenzenloses Wachstum“ zu beschwören.

Die Grundgesetze der Natur zu stören,
lässt aber nun der Welt (der es gefiel,
Natur und Geist zu spalten) kaum noch Spiel,
um ihrem weiteren Verfall zu wehren.

Wir Menschen sollten dienen! Ganz dem Zwecke,
Jahrmillionen Altem einfach nur
- ererbten Bahnen folgend - nachzugehen.

Wir leben hier nur eine kurze Strecke.
Vernutzen wir das Erbe der Natur,
wie kann dann unser Erbe fortbestehen?!


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Vom Geist einer alternden Welt

Noch ist ein Himmel um die alte Erde.
Er weist dem Globus, der uns Menschen trägt,
die Bahn - vom Urknall expansiv bewegt.
Ob ihm nicht bald einmal ein Ende werde?

Strukturen fluktuieren zwar. (Sonst währte
das Leben nicht so lang.) Doch ist belegt:
die Raum-Zeit altert auch! Die Menschheit sägt
an jenem Ast, der sie als Affen nährte.

Nun hungert sie nach Gentechnik, ganz fest
dem Geist beteuernd, der die Welt vernetzt hat:
„Doch dass wir Dich zerstören, ist nicht wahr!“

ER haucht nur müd: „Wer sich nicht sagen lässt,
dass er der Kinder Lebensraum verletzt hat,
wird nie ergründen, was mir Zukunft war“.


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