Verluste
[1971]

Es wächst dir immer etwas zu.
Was auch geschieht, es ist ein stetes Wachsen!
Schwer zu begreifen, dass auch
persönlich als tragisch empfundene Verluste
Zuwachs bedeuten sollen.

Menschliche Tragödien
scheinen diese Erkenntnis Lügen zu strafen.
Obwohl wir wissen, dass Wachstum
(das ja der Verjüngung unterliegt)
den Tod bereits in sich trägt.

Das, was wir gern das „Schicksal“ nennen,
gehorcht der nämlichen Ordnung, die alles umfasst,
was lebt auf dieser Erde:
Junge, neue, erst zaghaft wachsende Triebe
werfen das Alte ab.

Wie schön sind doch die Jahreszeiten!
Zeigen sie nicht die changierende Vielfalt des Werdens?
Und ebenso - wenn auch mit Schmerzen -
haben wir den Reigen der Generationen
anzuerkennen gelernt.

Nur im persönlichen Schicksal, da
rechnen wir Verluste und Verzichte
nach arithmetischem Muster:
Ein Verlust wird behände ins Minus gesetzt;
und Verzicht zählt als Manko.

Wie leicht lässt sich auf diese Art
die ohnedies leicht zu kränkende Eitelkeit schüren!
Und eine mögliche Einsicht
ins übergeordnete, allumfassende Werden
der Welt erstickt im Keim.


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