Babylon
[eine Ballade des inneren Lebens, 1991]

Das Wort ist ein Gebilde ohnegleichen!
Man kann es vage der Musik vergleichen,
die zwar mit Tönen spielt, doch uns betört
nicht nur der Klang, den unser Ohr erfährt:

uns reizt die sphärische Erwartungshaltung
für Gleichklang, Aufbau, Harmonieentfaltung,
für Rhythmus, Melodie, Geräusch und Tanz,
ja selbst für nichtkonforme Dissonanz.

Musik ist uns im Innern vorgegeben.
Wir hören sie, indem wir sie erleben.
Wir spüren sie! Vergleichbar einem Sehnen,
in dem wir uns getrost geborgen wähnen.

So hören wir Musik - wenngleich von außen -
aus uns heraus. Oft hören wir die Pausen
viel deutlicher als die Kulmination!
Denn Kraft und Spannung misst sich nicht in Phon.

In Wahrheit lauschen wir der Energie.
Musik erfüllt uns (ungeachtet, wie
sie zu uns kommt: sich fortpflanzt mittels Welle).
Wir „hören“ durch die Redundanz der Seele!

---

So auch im Wort. Nicht Zungen sprechen Sprachen,
der Körper spricht! Wir hüsteln, zwinkern, lachen,
verstecken die Empfindung, machen Miene,
agieren mit beredter Pantomime.

Jedoch wir lügen auf jedwede Weise!
Denn leider, etwas unterwandert leise
die uns vererbte Kommunikation.
(Wie lange ist es noch bis Babylon?)

Integer ist die Sprache längst nicht mehr.
Der Körper wäre weitaus ehrlicher!
Seit aber „die Natur in uns“ verblasst
(die sui generis sich selbst erfasst),

verliert der Mensch in letzter Konsequenz
das „Selbst-Verständnis“ seiner Existenz!
Denn Leben, wie es aus sich selbst entsteht,
das wüsste ja, wie es sich selbst versteht!

Der Mensch indessen, der dies untergräbt
und Wissen über die Empfindung hebt,
denaturiert Gefühle und Verstand.
Umwelt und Mitmensch sterben Hand in Hand.

---

Hier ist das Wort nun der Musik vergleichbar:
Die Kommunikation ist nur erreichbar
mit Intuition, denn die macht sie lebendig.
Nicht erst die Logik macht das Wort „verständig“.

Sind nicht - seit Urzeiten - der Dichter Werke
voll sinnstiftender, schöpferischer Stärke?!
Und selbst das Alltagswort (im Sprachgebrauch)
kann weise sein, vereint es Kopf und Bauch.

Denn SPRACHE ist das erste Artefakt,
das Menschen schufen (Affen noch und nackt).
Wie kam es, dass wir dieses Erbe schmähen?
Es war so reich! Wir konnten uns verstehen!

Das Biotop der Seele ist bedroht.
In Teufelskreisen zirkuliert die Not...
Und wir, so scheint es, sind dagegen machtlos.
Banausen sind wir! Unnachahmlich achtlos.

Das taube Wort, es macht uns letztlich stumm;
und Bildung - ohne Herzensbildung - dumm.
High Tech und Forschung, Politik und Rechte,
was einst Kultur hieß: inzestuöse Mächte!

---

Wohl wächst das Wissenskonvolut beständig.
Doch nur fakultativ (bloß „sach-verständig“)
sind immer kleinere Details benennbar!
Ist so denn das Mysterium erkennbar?

Der Kosmos wird mit dieser Art „Erkenntnis“
nie menschlich messbar sein! Sein Selbstverständnis
verwebt das „Tun“ im „Sein“ - und zwar global;
wie „Zeit und Raum“ - „Vergänglichkeit und All“.

Und alles (mag es auch vergangen sein)
ist Teil von dieser Existenz! Allein
der Mensch - und hierin ist er unzulänglich -
befürchtet voller Angst, er sei vergänglich.

Tatsächlich IST, was immer war und wird,
nicht etwas, das sich „mit der Zeit verliert“.
Es ist in alle Raum-Zeit existent!
Der Mensch braucht Mythen, dass er dies erkennt.

Sind keine da, lässt er das Fragen ruh'n
und misst (im Fortschrittsglauben) nur sein „Tun“.
Doch solch ein Schaffen ist nicht integriert
im Weltenplan. Was wohl draus werden wird?

---

Die Wissenschaft misst immer nur: Aktion,
niemals den ganzen Fluss. (Der fließt davon...)
Und weil sie fragt und forscht, wie alles wird,
ist „Werden“ symptomatisch definiert.

Doch wie viele Details wir auch erkennen
und Primärwirkungen mit Namen nennen,
der Strom der Zeit, der Werdegang der Welt,
bleibt uneinsehbar auf sich selbst gestellt.

Und wie wir einst den Schöpfer-Gott verbannten
(weil wir Ihn - wissenschaftlich - missverstanden),
so distanzieren wir uns längst auch schon
vom Paradigma Evolution!

Ein präpotentes Wissenschaftsgefüge
erdrückt den Lebensraum. KULTUR ist Lüge!
NATUR besteht nur noch aus Artensterben.
Was bleibt denn da den Kindern zu vererben?

Es bleibt nicht viel, das - seiner Sinne mächtig -
lebendig lebt. Das ist suizidverdächtig.
Homunkulus ist fast Realität.
Und die Betroffenheit, die kommt zu spät.

---

Lebendiges wird zunehmend hybrid.
Die Schöpfung stirbt. Die Forschung ist bemüht,
die Löcher, die sie schlug, neu aufzufüllen.
Gleicht Science-Fiction eines Gottes Willen?

Seit wir Hiroshima... Tschernobyl... hatten,
wirft „Mensch-Sein“ einen fürchterlichen Schatten
der potenzierten Schuldkategorie!
Die Erbsünde scheint lässlich gegen sie.

Erfassen wir die Schuld denn, die wir tragen?
Man kann sie nur mit „tauben Worten“ sagen!
...Musik verhallt. ...Noch lauschen wir dem Sänger.
Doch Gottes Schatten werden immer länger.

Gewiss, wir leben gerne! Wenn auch blind.
Und nach wie vor wünscht jeder sich - ein Kind!
Ich hasse pessimistische Gedanken:
Wird mir mein Sohn dereinst sein Leben danken?

Noch freut er sich, dass er am Leben ist.
(Wie schnell sich doch der schwere Alp vergisst.)
Mit Spaß und Frohsinn füllen wir die Tage!
Nicht eingedenk der Überlebensfrage.


~ ~ ~ * ~ ~ ~