Ach wärst du doch mein Spiegel!
[Klagelied eines parentifizierten Kindes, 2006]

Auffallen will ich dir! Siehst du mich nicht?
Ich will doch nichts andres, als von dir geliebt sein!
Du sagst mir immer nur „Tu deine Pflicht“.
Sicher, ich weiß ja, auch die will geübt sein.
Aber in mir sprüht ein Feuerwerk Licht!
Wie kann da alles um mich so betrübt sein.
Ach wärst du doch mein Spiegel! - Der sähe,
wie sehr ich an glühendem Sehnen vergehe.


Stell doch den Scheffel nicht über mich.
Soll ich kein Recht haben, hell zu brennen?
Oder: du willst mich nicht sehen, um dich
dann - in mir - als dich selbst zu erkennen!
Was da so funkelt und gleißt, das bin ICH!
Wirst es nicht leichtfertig abtöten können.
Ach wärst du doch mein Spiegel! - Der wüsste,
wie sehr ich dein Anerkennen vermisste.


Du gabst mir das Leben. Nun bin ich hier
und warte, dass du mir die Wege weist.
Du aber öffnest nur dann deine Tür,
weil du in mir einen Zuhörer weißt.
Wenn du mich brauchst, dann rufst du nach mir!
Wie du im Zorn und im Wehklagen schreist...
Ach wärst du doch mein Spiegel! - Der würde
mir tragen helfen diese Bürde.


Wie soll ich da denn erwachsen werden,
ohne von vornherein zu verzagen?
Wie soll ich suchen nach neuen Gefährten,
ohne mich ungeschickt anzutragen?!
Nie fand ich Hilfsgeister, die mich lehrten,
wie Flügel mir wüchsen, mich fortzutragen!
Ach wärst du doch mein Spiegel! - Der sollte
mir zeigen, wie man abheben wollte!


Aber ich kann es alleine versuchen,
ins Leben zu gehn - und will es gestalten!
Muss mir halt eigene Wege suchen,
doch werd ich die nötigen Kräfte entfalten!
So will ich nicht länger der Kindheit fluchen
und darum auch nicht am Gram festhalten.
Ach wärst du mein Spiegel g e w e s e n, der weinte!
Jener war blind. Wie schlecht er uns einte.


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