gesellschaftskritische Aphorismen, Sonette und Balladen aus meiner Jugendzeit  -  ab 1969


Epigramm
[1969]

Einer Menschenseele reiche Quelle
will zum Licht empor, frei von Besitz!
Doch ihr Weg führt, trotz des Drangs nach Helle,
über unwegsame Wasserfälle
abwärts, in die Klüfte des Gemüts.

Dort, in jener unerforschten Tiefe,
sammelt sie sich neu - und drängt zum Meere.
Menschen aber schaffen: Häfen, Schiffe,
Handelswege und Vertragsbegriffe...
Sie gehorchen nur der Erdenschwere.


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Missbrauch an der menschlichen Natur
[mahnendes Sonett, 1970]

Wir spielen mit dem Leben, wie ein Kind
mit Puppen, Tieren oder Freunden spielt:
zu Anfang scheu, bald aber stolz und wild
und viel zu schnell besitzergreifend blind.

Dass alle Wesen so zerbrechlich sind,
missachtet aber der, den Gier erfüllt.
Im innersten Verlangen ungestillt,
verwüstet er, was immer er beginnt!

Solch eine „Ernte“ ist in Wahrheit Raub.
Missachtet und vergeudet, hinterlässt
sie nichts als einen kümmerlichen Rest.

Das soll dann alles sein? Wie blind und taub
verleugnen wir, im blinden Willen stur,
die eignen und die Grenzen der Natur!


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Wohlstandskritik
[Ballade an die Generation meiner Eltern, 1970]

Ambitionen habt auch Ihr gehabt
(gewiß nicht nur für Krieg und Gräueltaten).
Doch sind Euch die Visionen weggeschwappt,
das Meer verebbt, Geysire hohl geraten.

Der Zunder, innerem Sehnen nachzustreben,
verglühte wohl, bevor er Flammen schlug.
Und manch ein Funkenflug vom wahren Leben
erstarb im rußgeschwärzten Selbstbetrug.

Nur vor-sich-hin-zu-leben ist nicht schwer!
Und bloß zu wollen, was erreichbar ist,
nie nachzufragen, wie das Dasein wär,
wenn man es nicht an Alltagswerten misst,

ist kleinlich, schäbig; und macht greisenhaft.
Ihr ekelt euch vor lebenstollen Kindern
und wollt ihr Wesen - ihre Lebenskraft -
im Druck der Wohlstandsübermacht verhindern?

Ich hab mich andern Sehnsüchten verschrieben!
Nicht ködert Ihr mein Sehnen durch Besitz.
Und sind auch Euch die Träume fortgeblieben,
verwerft nun meine nicht als Aberwitz!

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Es ist erbärmlich, Schmeicheln vorzutäuschen
und dabei Druck zu machen, liebeleer.
Ich hasse den „Gewinn“ aus Habgier-Räuschen.
Ich will was anderes. Und davon mehr!

Das ist Euch fremd? Schwand Euch das Angedenken
an Eure eigene vitale Kraft?
So habt Ihr nun halt nichts mehr zu verschenken,
müsst Euch erbetteln, was Ihr selbst nicht schafft.

Doch könntet Ihr das Leben wiederholen
und hättet alle Möglichkeiten frei,
gestalterisch die Zukunft zu entrollen,
ein Ziel zu setzen, fern vom Einerlei:

Ich fürchte, dass Ihr wieder dahin kämt,
wo Ihr, wie jetzt, am bittern Ende steht.
Nichts anderem als Wohlstand wird gefrönt!
Missachtend, dass die Welt zu Grunde geht.

Konsum macht faul. Doch Völlern macht auch krank!
Gibt es nichts anderes, wonach Ihr strebt?!
Einst gab's gewiss etwas, doch das versank.
Und alles andere ist rasch durchlebt.

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Ich will dereinst nicht so geworden sein.
Bin ich doch ein der Welt entstammendes,
der Menschheit Kind, nicht Eures nur allein.
Und daher ist mein Selbst ein flammendes!

Ich mag nicht denken, wie es anders sei.
Vielleicht, weil ich das tu, ist es auch nicht!
Wie dem auch sein mag, ich bin stolz und frei.
Ich folge der Vision der Menschen-Pflicht!

Die macht sich nichts aus materiellen Werten.
Euer: „Du bist erst wer, wenn Du was hast“,
das heißt doch eigentlich, das Sein entwerten!
Auf die Art ist das Leben schon verprasst.

Da will ich lieber andern Zielen folgen,
nicht bürgerlichen (die sind marginal).
Ich mach mir nichts aus Eurer Art „Erfolgen“.
Ich lebe lieber! Das ist meine Wahl.

Ich mag der Menschen Seelen Wege spüren...
mag ihren Flug erahnen..., ihren Sturz...,
mag helfen, ihre Reise fortzuführen...
Dann flieg ich selber auch! Und nicht zu kurz.


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Einsamkeit
[Sonett in Verehrung für Friedrich Nietzsche, 1970]

Noch ist es Zeit, Vertrautes zu verlassen.
Befangen zauderst du, der Weg sei weit?
Nicht säume, dass die Seele sich befreit
von allem Lieben - und von allem Hassen!

Versperr die engen, altgewohnten Gassen,
die Hintertürchen zur Vergangenheit,
und geh voran! Geh in die Einsamkeit.
Nimm sie - als einen Teil von dir - gelassen.

Noch sitzt du da und weinst in dich hinein,
liebäugelst mit der Angst, die dich erfasst?
Wirf alles ab. Versuche du zu sein!

Noch bist du selber dir die größte Last.
Du bist mit deinem sturen, starren „Nein“
in deinem Innersten dein schlimmster Gast.


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Altern
[Ich will dereinst nicht so geworden sein, 1970]

Die Wirklichkeit übt eine Art
Hypnose auf uns aus.
So haben wir kaum eine Chance,
aus dem Kerker der Gegenwart
auszubrechen, träumen das nur.
Äußerlich stoisch, bequem und stur,
werden wir innerlich bald
müde, krank und schwächlich.
So werden wir gemächlich
irreparabel alt.


~ ~ ~ * ~ ~ ~

Hinter den Dingen
[mahnendes Sonett, 1971]

Wie bequem, „Gewissheit“ zu belohnen,
die nur Vorgefertigtes umkreist
(das uns dann Vernunft und Vorteil heißt).
Sinn und Zweck. Doch ohne Passionen.

Leidenschaft ist in den andern Zonen!
Nachts, allein, wenn man im All verwaist,
dort, wo Finsternis den Blick zerreißt:
rundum grenzenlose Regionen.

Wunderübersät des Chaos Spiel!
Doch es ist nicht Brauch, dort hinzusehen.
Uns genügt der eigne Horizont.

Der ist klar. (Man weiß doch, was man will!)
Erst wenn man erkrankt - am Missverstehen -,
keimt die Frage: Hat sich das gelohnt?


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Moribunde Welt
[mahnendes Sonett, 1971]

Der Globus wird uns bald zum Sarkophag:
ein Monument artifizieller Macht.
Technologie hat uns so weit gebracht!
Ihr Fortschritt macht den Erdball uns zum Sarg.

Das Wachstum mehre sich? Es wächst zu stark!
Der unheilbare Krebs der Weltwirtschaft
(mit markt- und plangetreuer Wissenschaft)
manipuliert das Leben bis ins Mark!

Funktionslos pumpt solch ein hybrides Sein
nur noch in Metastasen Kraft hinein:
ruiniert die Welt mit industriellen Normen.

Ist „Menschheit“ heut' nur noch ein leeres Wort?
Doch stirbt sie aus, ist auch ihr Erbe fort!
Welch Blasphemie, Kultur so auszuformen.


~ ~ ~ * ~ ~ ~

Frühling in der Stadt
[pittoreske Mini-Ballade, 1971]

Sonntags sind die Straßen menschenleer.
Sonntags ist das Arbeitsmenschenheer
einer ganzen Stadt familiär!

Alltagshektik ist am Sonntag träge.
Erst nach Mittag wird es etwas rege:
in den Stadtparks füllen sich die Wege.

Angezogene - mit Hut und Kragen -
schieben majestäisch Kinderwagen
(um die Garderobe auszutragen).

Alte Fräuleins (mit gespitztem Mündchen)
rufen neckisch-streng nach ihrem Hündchen.
Sie ergehen sich ein knappes Stündchen.

Doch sie fürchten sich, des Wegs zu trotten,
wo sich Schlurfs (in schäbigen Klamotten)
lautstark pöbelnd wild zusammenrotten.

Nur ein alter Mann (er ist gebrechlich)
droht mit seinem Stock, doch droht er schwächlich;
eigentlich sind sie ihm nebensächlich.

Dort ein blasser Kerl mit schmalen Hüften,
(ein Poet wohl) träumt von „hehren Lüften“,
lispelt was von „süßen Blütendüften“.

Und die Tauben (leider keine Lerchen
oder Nachtigallen, wie im Märchen)
turteln glucksend, finden sich zu Pärchen.

Gurrend künden sie von neuem Glück,
denn der Lenz, der Frühling ist zurück!
Junger Blätter Grün erfreut den Blick.

Auf den Wiesen lagern ringsumher
junge Leut', als ob 's zu Hause wär:
lungern, lachen, schmusen... sind leger!

Um die Flirtenden (der alte Bock!)
humpelt stundenlang an seinem Stock
ein Voyeur mit aufgeknöpftem Rock.

Und im abgezäunten Extra-Garten
grölen Tschecheranten; dippeln Karten.
Zoff und Streit lässt wohl nicht auf sich warten.

Messerstecher werden abgeführt...
Hoch am Himmel (selber echauffiert)
schwitzt die Sonne: Wo das enden wird!

Aber dennoch macht die alte Erde
mit verzeihend tröstender Gebärde:
dass es immer wieder Frühling werde.


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An und über den Zeitgeist
[kleine Sammlung 5-zeiliger Kreuzreime, 1972]

1.
Paradigmenwechsel

Unbekümmert macht die alte Erde
(Gottes ewigem Walten eingedenk)
mit erhaben tröstender Gebärde,
dass es immer wieder Frühling werde...
Noch empfinden wir das als Geschenk.

Doch der Himmel mit der Sonne droben
ist, seit unser altes Weltbild fiel,
eingestürzt! (Es gibt ja gar kein „oben“!)
Gott ist somit seines Amts enthoben.
Uns regiert des flüchtgen Zeitgeists Spiel.

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2.
Menschheitsfragen

Unbeholfen kriecht ein kurzer Frieden
manches Mal in unser Herz hinein,
segnet es in knapp gehaltnen Riten
und verlässt es dann mit raschen Schritten,
denn es ist ihm hoffnungslos zu klein.

Wie soll da die Menschheit fortbestehn!
Freilich, technisch tun wir Schritt um Schritt
(„Fortschritt“ heißt das), um voran zu gehn.
Doch wohin?! Der Keim des Menschlichen
- die Natur in uns - ist längst hybrid.

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3.
Fortschritt

Fortschritt schreitet fort; ganz ohne Sinn.
Nur zum Schein zeigt er sich uns als Weg.
Doch er weiß wohl selber nicht, wohin;
sucht auch nicht danach. Er sucht: Gewinn!
(Ein als Pflicht getarntes Privileg.)

„Menschheit“ ist wohl auch so ein Begriff.
Gibt sich Wohlstands-Überflüssen hin
und verleugnet (wissend, nicht naiv!),
krank zu sein, seit langem rezidiv.
Doch die Metastasen sind schon drin.

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4.
Haben oder Sein

Menschen leben gerne. Wenn sie leben.
(Wenn sie tot sind, weiß man 's nicht genau.)
Doch man sagt, „der Tod gehört zum Leben“.
Ist das so? Nun ja, dann heißt das eben:
beides ist von einem Überbau.

Wär' das nicht spirituell betörend?!
Leider, spaltend Haben oder Sein,
denken wir uns alles uns gehörend!
Die Ressourcen nutzend, nein verzehrend,
fügen wir uns nicht ins Leben ein.

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5.
Weltuntergang

Müssen wir uns in Besitz versenken?
Zählt denn nichts, was andern Wert besitzt?
Wollen wir die Welt im Leid ertränken,
weil wir „Wachstum“ (irrig!) nicht beschränken
und die Weltwirtschaft sich überhitzt?!

Sintflutartig werden Tränen fließen,
wenn die Weltbevölkerung erkennt:
Artensterben heißt ja auch, zu wissen:
einmal werden WIR hinweggerissen!
Arme Menschheit, die sich so verrennt.

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6.
Mensch zu sein

„Hab keine Angst“, sag ich mir immer wieder,
das Leben ist seit je von selbst geworden.
Und was es je erschuf, war nicht grad bieder!
(Schon immer machten Menschen „Feinde“ nieder,
allein aus Lust am Metzeln und am Morden.)

Die Menschheit, denk ich, war noch niemals gut.
Wie sollte sie dann heute besser sein?!
Und doch (ein wenig wallt dabei mein Blut):
Kann denn der Abschaum und des Hasses Sud
als Maßstab dafür gelten, MENSCH zu sein?!

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7.
Kindeskinder

So wie WIR das Leben leben, ist es
bald: die letzte Generation.
Nur wer selber Kinder hat, vermisst es,
dass wir gar nicht haushalten! Ein wüstes
Szenario steigt auf... bis ins Ozon!

Was werden unsre Kindeskinder klagen,
wie werden sie uns fluchen! - Oder doch nicht?
„All jene ungelösten Umweltfragen,
die können ja bis dann gelöst sein!“
, sagen
Forscher. - Möglich wär 's. Dann gäb es doch Licht?

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8.
Zukunft

Freilich wissen wir nicht, wie es kommt.
Doch es wär ein ruhigeres Träumen,
wüssten wir, dass es den Kindern frommt,
was wir ihnen hinterlassen! (Prompt
würde nämlich sonst ihr Hass aufschäumen.)

ALLES lernen Kinder von den Alten,
nicht nur, worin die sie unterweisen.
Mehr vielleicht noch, wie sie sich verhalten;
auch wie sie ihr Hab und Gut verwalten.
Und das werden jene bald beweisen.

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9.
Himmelsmächte

Wolken fliegen über uns hinweg.
Wir beachten sie nur, wenn es blitzt.
Rußpartikel und der ganze Dreck
- ausgepufft (schon glauben wir ihn weg!) -
kehren heim, vom Himmel ausgeschwitzt.

Wolken sind doch auch zum „Schäfchen zählen“
und zum „Seele baumeln“ gut geeignet!
Sollten wir uns nicht ein Leben wählen,
das - wie alte Mythen es erzählen -
UNS den Himmelsmächten übereignet?

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10.
Trost

Ich möchte meinen Kindern gern beteuern,
dass dieses Leben schön und lebenswert ist.
Ich will versuchen, ihren Geist zu steuern,
sodass sie, was sie „nutzen“, auch erneuern!
Damit die fernste Zukunft unbeschwert ist.

Es wird nicht leicht sein, das auch zu erreichen.
Doch würde sich die Unterlassung rächen!
So mühe ich mich ab - und setze Zeichen:
Ich will dem Leben meine Schuld begleichen
und ohne Furcht dem Zeitgeist widersprechen!



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