Eines langen Lebens Reise
[in Anlehnung an Eugene O'Neills Drama „Eines langen Tages Reise in die Nacht“, 2006]

Weiß nicht, ob ich in der Kindheit etwas „wollte“;
denn erinnern kann ich mich an so was nicht.
Dunkel weiß ich eher, was ich alles sollte!
Heut noch trag ich 's in mir, das Gefühl für Pflicht.
Dennoch glaub ich, dass da immer auch was grollte,
innerlich. (Jedoch dem achtete ich nicht.
Ich verdrängte es.) Und doch: ich schämte mich.
So, als ob ich schuld wär. Und das grämte mich.

Ob die Eltern ahnten, wo das hinführn muss?
Glaube nicht. Sie liebten uns ja, wie sie sagten.
Beim Zu-Bett-Gehn kriegten wir auch einen Kuss
und ein Bettsteigerl. (Besonders, wenn wir klagten,
dass sie uns noch was erzählen sollten.) „Schluss!“
Da war Schluss, und ohne Widerspruch; wir wagten
keinen. Wussten gar nicht, dass es so was gibt!
Wussten aber, dass man seine Eltern liebt.

Und wir lieben sie ja noch! Spricht was dagegen?
Wird schon recht gewesen sein, wie sie es taten.
Heute sind wir selber Eltern: Überlegen,
ob 's nicht besser sei zu tun, wie wir es hatten...
Kinder sind ja wirklich dumm! Nicht zu bewegen,
das zu machen, was man will! Die kleinen Ratten.
Nagen unsere Speisekammern leer - und scheuen
sich nicht, mehr zu wollen! Die werden 's bereuen!

Einmal werden sie dann selber Eltern sein.
Und dann werden sie schon sehen, wie das ist!
Wir zersprageln uns für sie tagaus, tagein,
sie vergessen, dass man nicht ins Laken pisst!
„Kinderängste“? Pah! Wir waren selber klein,
haben auch gelernt, dass man das nicht vergisst.
Braucht halt eine starke Hand. Seht uns an, hier:
„Wo der Bartl seinen Most holt“, wissen wir!

So was lernen Kinder heutzutage nimmer.
Liegt gewiss an diesem Überfluss. Doch was
kann man denn dagegen tun? Und es wird schlimmer!
Junge Leute spielen... saufen... rauchen Gras...
haben keine Arbeitsplätze...
(wie auch immer)
oder sie verweigern Essen... Gibt 's denn das?!
Weiß denn wirklich keiner mehr, was Pflichten sind?
Früher sagte man: „Das weiß doch jedes Kind! “

Was soll aber dann aus deren Kindern werden?!
Wohin wird es führen, dieses Karussell?
Jene Wohlstandsfrüchtchen, die sich selbst gefährden
(Nestbeschmutzer allesamt), wie soll'n die schnell
- über Nacht - zu welldressed Businessleuten werden?
Geld verwalten? Arme Kindeskinder, gell?!
Werden sie nicht ihre Eltern dafür hassen,
dass die sie so ganz sich selber überlassen?

Schaut, da drüben geht ein langhaariger Vater!
Oder eine Mutter? Nein, man sieht 's am Bart.
Trägt sein kleines Kind im Tragetuch. Ja hat der
den Verstand verloren? Weibisch ist das! Wart,
da muss die Fürsorge was tun, Sozialberater
schicken! Ist das nicht die reinste Höllenfahrt?
Wohin bitte, frag ich mich, soll das denn führen?
Sakra, unsre Väter würden sich genieren!

Und das Kleine wird dem Burschen sicher ähnlich:
voll Tattoos und Piercings, unbeschreiblich!
Ach wie ist der dumme Pöbel doch gewöhnlich:
unterscheidet nicht einmal mehr männlich/weiblich.
Nun, in dieser Frage bin ich unversöhnlich.
Dennoch sind auch meine Enkel anders... (Leiblich
werden sie wohl niemals eigne Kinder haben...)
Gott sei Dank sind meine Eltern schon begraben!

Die hab ich gepflegt. Das war gewiss nicht leicht.
Vielmehr hab ich sie natürlich pflegen lassen.
(Wenn man denen nur den kleinen Finger reicht!)
Doch man kann sie nicht sich selber überlassen.
Auch gehört es sich, dass man die Schuld begleicht.
Eigen ist das schon, dass lieben... fürchten... hassen...
so nah beisammen liegen. (Dunkles Menschenwesen.)
Wollte nur, ich wäre glücklicher gewesen.

Keiner will mich... Und jetzt bin ich ganz allein...
Graust mir auch, dass ich nun nichts mehr richtig kann...
Wenn ich schlafe..., träum' ich einen Sonnenschein,
wie ich keinen jemals sah! - In seinem Bann
ahne ich: es müsse dort viel schöner sein,
wo ich hingehn werde müssen... bald... (Und dann?)
Hätte ich bloß früher mehr Gefühl gezeigt,
wär wohl jemand bei mir, der sich stumm verneigt.


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