Fast ein Gebet
[Ballade über das Leben; 1996]

Wir bauen Tag für Tag ein Stückchen Leben
zum immer neuen Wirklichkeiten auf.
Gewiss wird manches wieder aufgegeben
(und oft verdammen wir „der Dinge Lauf“).

Doch das, was wir an Hab und Gut und Ruhm
als irdischen Erfolg erringen dürfen,
ist nur ein Bruchteil von dem Eigentum,
das sich die Seele martert einzuschlürfen.

Ihr nämlich ist des Lebens Wachstumskraft
- die wahrlich mehr erwirkt als nur Besitz -
ein unbewusster Puls, der nie erschlafft.
Sie ist der Urgrund. (Selbst dem Geistesblitz!)

Denn voll des Geistes baut und formt die Seele
- fast Stein um Stein - ein Wirklichkeitsgebäude,
das mit dem Maß an irdischem Gefälle
gar nicht zu messen ist in seiner Weite!

Schier endlos ist der Strom der Energie,
der uns ins Leben warf - und uns dereinst
auch wieder von hier nimmt (nicht ahnbar wie).
So weißt du letztlich nie, warum du weinst.

Das Maß der Kraft, die schon seit Anbeginn
des Werdens auf die Erde sich ergießt,
ist ohne Maß! Und doch ist Maß darin.
(Es lässt sich kaum erklären, wie das ist.)

Weil „Ewiges“ (das ohne Grenzen sein muss)
ins Leben (das verletzlich ist, vernichtbar)
als Maß nicht eingebaut ist, ist der Einfluss
des menschlichen Gewissens unverzichtbar!

Denn dieses weiß: wir sind sehr wohl geborgen,
wenn wir das Dasein - wissend, es ist gut -
in seiner Richtigkeit (trotz aller Sorgen)
als das erkennen, was es für uns tut.

Es trägt uns nämlich! Zweifeln wir nicht oft,
dass uns der Halt, den jenes Wissen gibt,
ein Ziel eröffnet, das (bald unverhofft)
den Weg uns zeigt? Der Weg heißt: Leben liebt!

So lieb auch du. Lieb alle Kreatur!
Und lieb vor allem dich (auch unzulänglich)!
Denn jeder Zustand, jede Form Natur
ist deines Seins! Und das ist unvergänglich.

Denn was vergeht, ist bloß der Augenblick.
Jedoch was wär', wenn der erhalten bliebe?!
Dann stünde alles still. Und kein Geschick
verhieße jemals mehr den Weg der Liebe.

Drum bau auf ihn, bau fest auf „jetzt“ und „hier“,
sind das auch nur Bewusstseinsdimensionen.
Dahinter ist - wie hinter einer Tür -
das, was man sich ersehnt, hineinzukommen!

Freilich gelingt uns „einzutreten“ selten.
(Wird es ein Raum sein, den wir uns erträumten?)
Oft liegen zwischen Augenblicken Welten;
wohl weil wir deren Übergang versäumten.

So wird dann vieles als Verlust empfunden.
Jedoch was abgenabelt werden musste,
hat letztlich seinen eig'nen Weg gefunden.
Und neues Leben kompensiert Verluste.

Wir treten nämlich - nicht mit dem Verstand -
in immer neue Wirklichkeiten ein,
die wie von selbst entstehen! Weites Land...
Wer sich darin ergeht, der darf sich freu'n!

Und wer verzweifelt, der bedenke still,
ob nicht sein eig'ner Zweifel ihn beschränkt;
weil er vielleicht (ganz unbewusst) nicht will,
dass jene Ordnung gelte, die uns lenkt:

Die Energie ist unermesslich groß!
Doch in dem Reservoir an „Möglichkeiten“
blieb' alles Wachstum dummer Zufall bloß,
„wirkte“ es nicht sich selber! „Wirklichkeiten“

sind somit also bloß Systemkreisläufe,
die sich durch eigne Selektion ergaben.
Denn es gehorchen ihre Kraftverläufe
dem Wirken, das sie mit geschaffen haben!

Kraft fließt und fließt zurück. Das ist das Leben.
Die Regelung wirkt quasi automatisch.
Und nie bleibt was Erworbenes gegeben,
es wirkt sich immer neu! Es bleibt nicht statisch.

Für Menschen gilt: Erfüllung macht uns reich,
doch nur mit Sehnsucht ist sie auch erträglich!
Denn erst das Streben macht die Seele weich,
den Geist geschmeidig und den Leib beweglich.

Dann wird des Schicksals Weg ganz selbstverständlich,
egal wohin er führt, was er bewirkt.
Und das Gefühl zu leben wird unendlich,
weil es schier alle Kräfte in sich birgt.


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