Frühe psychohygienische Aphorismen, Sinnsprüche und Balladen


Mein Wunsch
[1970]

Ich habe Angst,
dass ich mich einmal verlieren könnte
in einer Gewissheit.

Mein Wunsch ist,
dass mir das Leben niemals gehöre,
sondern ich ihm!

Stärke beweist,
wer sich zu jeder Antwort gewissenhaft
die Frage sucht.


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Vielfalt oder Sucht?
[1970]

Wenn du die Vielfalt des Erlebens suchst,
kann es geschehen, dass du süchtig wirst.
Und doch: das sich Vergreifen am Augenblick
folgert noch lange nicht die Herrschaft über ihn!

Mag sein, dass du das Leben einst verfluchst
(zumindest wenn du merkst, dass du 's verlierst).
Doch wirkt hier nicht ein äußeres Geschick,
dein Suchtverhalten schuf dir den Ruin.


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Odysseus in dir
[1971]

Wer in der Unrast rudert,
dem ist jedes Neuland
immer die größte Hoffnung.

Bis er bemerkt, dass die Suche,
immer und immer nach Neuem,
ihm doch nur Altlasten schafft.

Diese zu fliehen, begehrt er,
irrend von Strand zu Strand,
stets nur nach neuen Gefilden.

Doch nur wer eines bebaut
und es sich urbar macht,
wird seinen Platz erhalten!

Pflegt er hingegen Verschleiß,
voll nimmersatten Genusses,
wird ihn Charybdis verschlingen,

weil er aus glückloser Suche,
- fliehend von Ufer zu Ufer -
immer nur wieder in See sticht.

So wird die Fahrt ihm zur Irrfahrt.
Denn wo kein Ziel, ist kein Weg...
...ist auch kein Weg nach Haus.


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Zeitenwenden wenden Zeiten
[1971]

Im Grunde führen uns unsere Träume
nie in ein fremdes Land,
nur in verstaubte Hinterräume
und Kellergewölbe, ganz geheime,
aus eigenem Bestand.

Was da in Truhen verschlossen liegt,
hat längst seinen Dienst getan.
Doch es ist unser! Eitelkeit siegt,
filtert Vergangenes, gaukelt und lügt,
fasst uns nostalgisch an.

Verblichen, zerborsten und modrig schon,
wir sehen nur seinen Glanz!
Im Weihrauch erhebt sich - erst flüsternd - ein Ton,
mehrt sich zum schwatzhaften Spiel der Vision.
Reales verschwindet ganz.

So wird im Erinnern an frühere Zeiten
Vergangenes mystisch verehrt.
Wie wollen wir da denn die Zukunft bestreiten,
wenn Gegenwarten uns flirrend entgleiten
und Wahrnehmbares verjährt?!


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Verluste
[1971]

Es wächst dir immer etwas zu.
Was auch geschieht, ist immer stetes Wachsen!
Schwer zu begreifen, dass auch
persönlich als tragisch empfundene Verluste
Zuwachs bedeuten sollen.

Menschliche Tragödien
scheinen diese Erkenntnis Lügen zu strafen.
Obwohl wir wissen, dass Wachstum
(das ja der Verjüngung unterliegt)
den Tod bereits in sich trägt.

Das, was wir gern das „Schicksal“ nennen,
gehorcht der nämlichen Ordnung, die alles umfasst,
was lebt auf dieser Erde:
Junge, neue, erst zaghaft wachsende Triebe
werfen das Alte ab.

Wie schön sind doch die Jahreszeiten!
Zeigen sie nicht die changierende Vielfalt des Werdens?
Und ebenso - wenn auch mit Schmerzen -
haben wir solch einen Reigen der Generationen
auch anzuerkennen gelernt.

Nur im persönlichen Schicksal, ja,
da rechnen wir Verluste und Verzichte
nach arithmetischem Muster:
Ein Verlust wird behände ins Minus gesetzt
und ein Verzicht zählt als Manko.

Wie leicht lässt sich aber auf diese Art
die ohnedies leicht zu kränkende Eitelkeit schüren!
Und eine mögliche Einsicht
ins allumfassende, übergeordnete Werden
der Welt erstickt im Keim.


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Liebesabenteuer
[1974]

Wer stürzt sich nicht in Liebesabenteuer
und sieht mit Schrecken: bald verglimmt ihr Feuer.
Selbst in den ungestümsten Varianten
verlischt die Glut. Ein Hauch, und sie verbrannten.

Vermutlich hat das Misstrauen uns geprägt.
Doch wer hat es in uns hineingelegt?
Wir nehmen immer nur. Und wir zerstören,
sowohl uns selbst, als auch, die wir begehren.

Als hätten wir es nicht gelernt, zu fühlen.
Und das kaschieren wir mit Liebesspielen,
die unsre Seelen immer neu gefährden.
Kann dieser Kreislauf nicht durchbrochen werden?

Sich vorbehaltlos einfach hinzugeben,
ganz ohne Frust zu lieben und zu leben,
das wär' das Schönste! Denn mit Sicherheit:
Befriedigung ist nicht Zufriedenheit!


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