An und über den Zeitgeist
[kleine Sammlung 5-zeiliger Kreuzreime, 1972]

1.
Paradigmenwechsel

Unbekümmert macht die alte Erde
(Gottes ewigem Walten eingedenk)
mit erhaben tröstender Gebärde,
dass es immer wieder Frühling werde...
Noch empfinden wir das als Geschenk.

Doch der Himmel mit der Sonne droben
ist, seit unser altes Weltbild fiel,
eingestürzt! (Es gibt ja gar kein „oben“!)
Gott ist somit seines Amts enthoben.
Uns regiert des flüchtgen Zeitgeists Spiel.

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2.
Menschheitsfragen

Unbeholfen kriecht ein kurzer Frieden
manches Mal in unser Herz hinein,
segnet es in knapp gehaltnen Riten
und verlässt es dann mit raschen Schritten,
denn es ist ihm hoffnungslos zu klein.

Wie soll da die Menschheit fortbestehn!
Freilich, technisch tun wir Schritt um Schritt
(„Fortschritt“ heißt das), um voran zu gehn.
Doch wohin?! Der Keim des Menschlichen
- die Natur in uns - ist längst hybrid.

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3.
Fortschritt

Fortschritt schreitet fort; ganz ohne Sinn.
Nur zum Schein zeigt er sich uns als Weg.
Doch er weiß wohl selber nicht, wohin;
sucht auch nicht danach. Er sucht: Gewinn!
(Ein als Pflicht getarntes Privileg.)

„Menschheit“ ist wohl auch so ein Begriff.
Gibt sich Wohlstands-Überflüssen hin
und verleugnet (wissend, nicht naiv!),
krank zu sein, seit langem rezidiv.
Doch die Metastasen sind schon drin.

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4.
Haben oder Sein

Menschen leben gerne. Wenn sie leben.
(Wenn sie tot sind, weiß man 's nicht genau.)
Doch man sagt, „der Tod gehört zum Leben“.
Ist das so? Nun ja, dann heißt das eben:
beides ist von einem Überbau.

Wär' das nicht spirituell betörend?!
Leider, spaltend Haben oder Sein,
denken wir uns alles uns gehörend!
Die Ressourcen nutzend, nein verzehrend,
fügen wir uns nicht ins Leben ein.

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5.
Weltuntergang

Müssen wir uns in Besitz versenken?
Zählt denn nichts, was andern Wert besitzt?
Wollen wir die Welt im Leid ertränken,
weil wir „Wachstum“ (irrig!) nicht beschränken
und die Weltwirtschaft sich überhitzt?!

Sintflutartig werden Tränen fließen,
wenn die Weltbevölkerung erkennt:
Artensterben heißt ja auch, zu wissen:
einmal werden WIR hinweggerissen!
Arme Menschheit, die sich so verrennt.

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6.
Mensch zu sein

„Hab keine Angst“, sag ich mir immer wieder,
das Leben ist seit je von selbst geworden.
Und was es je erschuf, war nicht grad bieder!
(Schon immer machten Menschen „Feinde“ nieder,
allein aus Lust am Metzeln und am Morden.)

Die Menschheit, denk ich, war noch niemals gut.
Wie sollte sie dann heute besser sein?!
Und doch (ein wenig wallt dabei mein Blut):
Kann denn der Abschaum und des Hasses Sud
als Maßstab dafür gelten, MENSCH zu sein?!

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7.
Kindeskinder

So wie WIR das Leben leben, ist es
bald: die letzte Generation.
Nur wer selber Kinder hat, vermisst es,
dass wir gar nicht haushalten! Ein wüstes
Szenario steigt auf... bis ins Ozon!

Was werden unsre Kindeskinder klagen,
wie werden sie uns fluchen! - Oder doch nicht?
„All jene ungelösten Umweltfragen,
die können ja bis dann gelöst sein!“
, sagen
Forscher. - Möglich wär 's. Dann gäb es doch Licht?

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8.
Zukunft

Freilich wissen wir nicht, wie es kommt.
Doch es wär ein ruhigeres Träumen,
wüssten wir, dass es den Kindern frommt,
was wir ihnen hinterlassen! (Prompt
würde nämlich sonst ihr Hass aufschäumen.)

ALLES lernen Kinder von den Alten,
nicht nur, worin die sie unterweisen.
Mehr vielleicht noch, wie sie sich verhalten;
auch wie sie ihr Hab und Gut verwalten.
Und das werden jene bald beweisen.

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9.
Himmelsmächte

Wolken fliegen über uns hinweg.
Wir beachten sie nur, wenn es blitzt.
Rußpartikel und der ganze Dreck
- ausgepufft (schon glauben wir ihn weg!) -
kehren heim, vom Himmel ausgeschwitzt.

Wolken sind doch auch zum „Schäfchen zählen“
und zum „Seele baumeln“ gut geeignet!
Sollten wir uns nicht ein Leben wählen,
das - wie alte Mythen es erzählen -
UNS den Himmelsmächten übereignet?

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10.
Trost

Ich möchte meinen Kindern gern beteuern,
dass dieses Leben schön und lebenswert ist.
Ich will versuchen, ihren Geist zu steuern,
sodass sie, was sie „nutzen“, auch erneuern!
Damit die fernste Zukunft unbeschwert ist.

Es wird nicht leicht sein, das auch zu erreichen.
Doch würde sich die Unterlassung rächen!
So mühe ich mich ab - und setze Zeichen:
Ich will dem Leben meine Schuld begleichen
und ohne Furcht dem Zeitgeist widersprechen!



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